Album der Woche # 34-2020 – “ Lieder für geometrische Stunden“ by Sankt Otten

„Überall gibt es Harmonie, Geometrie, Metaphysik und sozusagen auch Moral“ Gottfried Wilhelm Leibniz

Man kennt sie, diese Momente, Stunden oder Tage, in denen man im Dreieck springen könnte, im Quadrat tanzen, sich nur noch im Kreis dreht, oder etwas einfach mal wieder aus einem anderen Winkel betrachten möchte. Sankt Ottens neues Album bietet Lieder für genau diese Szenen des Daseins. Der Soundtrack für das Auf und Ab des Lebens und die ganz persönlichen geometrischen Stunden.

Behutsam und meditativ führt uns eine Sequenz in das neue Werk ein. Ist das ein Synthesizer oder eine Gitarre? Egal! Eine Fläche schwebt vorbei und kehrt zurück, Schichten und Formen bauen sich auf, zuletzt verschmilzt das Spiel von Mensch und Technik zu perfekter Harmonie. Bombastischer geht es weiter in eine eher futuristischere Welt. Diese gibt sich kühl und surrealistisch, mit einer monotonen, bisweilen düster-dunklen Stimmung. Auch schön! „Du hast dem Schicksal die Show gestohlen“ kommt dagegen minimaler daher. Im Ansatz fast schon rockig ohne Rock sein zu wollen. Die perfekte Schnittmenge aus Minimoog-Sequenzen, akustischen Drumsounds, Ebow-Gitarren und synthetischen Streicherklängen. Conny Plank hätte vermutlich sein OK gegeben. „Wer trifft schon immer den Ton“: Eine Rhythmik aus verschachtelten Patterns, spitzfindiges Arrangement, sanfte Chöre, Pausen, Verdichtung und Ausdünnung. Ist das schon Jazz? Viele Grüße aus der Echokammer. Die Maschinen geben alles. Sie verbiegen den Beat in geometrische Formen, lassen den Bass im Kreis spielen, überziehen den Song mit geisterhaften Chören und spucken dabei eine trügerisch anschmiegsame Traumwelt aus. Übrigens, es ist schon eine Weile her, daß Rototoms in Elektronischer Musik zu hören waren. Herrlich! „Dann doch lieber weiße Wände“, der heimliche Hit des Albums? „Die Blumen darfst du behalten“: Die Pause atmet, stetig eingehüllt im Nachhall des vergehenden Tons. Eine Gitarre im Zeitlupendialog mit einem Synthesizer. Letztendlich verglühen beide im interstellarem Raum. Diesen Titel braucht die nächste Blade Runner-Verfilmung. Das auf die Sekunde 45 Minuten lange Album passt auf eine Seite einer C90–Kassette und beschließt entsprechend stilecht mit warmen, analogen 80er Elektronik-Klängen. Mensch und Maschine Hand in Hand, durchzogen von einem hypnotischen Motorik-Beat einer 808, der zum Kopfnicken anregt und fast schon tanzbar sein könnte. Der rote Faden dieser Veröffentlichung ist ganz klar wieder das minimal repetitive Schlagzeug von Stephan Otten, während Oliver Klemms typische Ebow-Gitarren-Drones die Titel zum Schweben bringen. Auf Sankt Otten ist Verlass!

Das 1999 gegründete Osnabrücker Duo Sankt Otten veröffentlicht seit 2009 bei Denovali. Mit dem mittlerweile 11. Album, schenken sie uns wieder eine Perle zeitloser Instrumentalmusik. Die heilige Dreifaltigkeit aus Krautrock, Ambient und zeitgenössischer Elektronik, aber immer stilsicher und unverwechselbar Sankt Otten.